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Literaturnotizen

Schon seltsam: Da wertet eine – immerhin – Literaturnobelpreisträgerin einen Literaturbetrieb als „extrem korrupt und nepotistisch“ (am 27.02. hier ) — und man hört keinerlei Reaktion.

Auch wenn man Jelinek nicht mag, sie nach ihrem Teilrückzug als Vergangenheit ansieht oder solche Qualifizierung mit ihrer überspitzenden Art zu schreiben abtut, würde man doch ein paar Reaktionen darauf erwartet haben.

Bisher sind es fast nur (kleine) österreichische Medien, die das melden. Und was ist mit dem deutschen, sich sonst zuständig fühlenden Feuilleton? Sind anscheinend noch alle von Billers Bollereien erschreckt und erschöpft …

Oder es läge eben am Schock der erstmal zu verarbeitenden Wahrheit.

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Noch nach Stunden zurück aus der Erzählung frage ich mich manchmal, ob die Analogie vom Unbewussten des Textes zutrifft: als das also an Gehalten, an die auch der Autor nicht reicht.

Wenn ich das Meiste all dieser Schichten durchdringe um sie ausdrücklich zu organisieren, wird dann ihr Gewebe in seinen intentionalen Anteilen lichter oder wird die Arbeit daran unweigerlich zerstörerisch? Bleibt in jedem Fall ein Rest? Tritt es eh erst hervor in Verbindung mit einem weiteren Unbewussten, dem des eigensinnigen oder unwilligen oder streunerischen Lesers? (Den außer an Gedanken und Schönheit noch ein Weiteres an Übertragung als sein a priori Eigenes erreicht?)

Baut sich gar ein Unbewusstes zweiter Ordnung auf? (Immer wieder wird gefordert, man solle zeigen statt erklären … und dann wird etwas doch nicht oder es wird etwas anderes gesehen. Obwohl auch das Zeigen längst immer öfter irgendwelchen Konventionen folgt, und ein Erklären, das das hinter sich gelassene Zeigen hin und zurück-durchdenkt wenn nicht ergiebiger zumindest eindeutiger ist. (Wenn auch, als zu befolgende Anstrengung, zumutender für den Leser.)

Manchmal, entsprechend vertieft, fallen mir jäh die auch im Gelungenen längst für sich arbeitenden gestalterischen Mechanismen auf … und wie sie, ihr Klappern, gerade im Unbewussten erst wieder hinter mich gebracht werden können.

Aber der Text, der sich darin verliert, seine referenziellen Aspekte vollständig aufzuheben, ist ja kein (herkömmlicher) Text mehr (als Akt „kommunikativer Intelligenz“), sondern wird zu einer Kategorie an Hermetik, an Klein-Kabbala, an (oft gar nicht „notwendiger“) Poesie, und genau das scheint mir immer öfter seinerseits etwas verjährt und geht für mich oft zu sehr in Richtung Re-Mystifizierung. (Das Ausstellen der eigenen Inspiration zum Nachteil eines sauberen Handwerks der Erzählung.)

Und außerdem ist heute „Poesie“, zumal in ihrem Überhandnehmen (zumindest aus dem Blickwinkel ihrer kritischen Liebhaber), oft genug eine Kunst-Konvention, eine, die ihrerseits nichts mehr als sich selber erfüllt, nämlich so lange an einer kleinen Wort-/Sinnfeldverteilung zu drehen, bis es verblüfft. Und oft geht das doch hin zu minderen Effekte, wenn nicht in Richtung Zirkus. (Ein seit Jahren ein gehörter appellativer Einspruch: „Jedes Gedicht hat Amts-Charakter“; Oswald Wiener.)

Klar, auch ich will nicht dauernd etwas mitgeteilt bekommen. Aber wird so gar nichts mitgeteilt, ist es eben auch oft nur mehr Geklingel. Bloße Text-Effekte aber, wenn sie nicht entweder etwas als Ästhetikgewinn oder im Denken Äquivalentes hervorbringen, sind nur hübsch und gehören eigentlich eher in die Kategorie Unterhaltung. (Ja, ich weiß, ohne die wir heute auch nicht mehr wollen / können / sollen … Bitte schalten Sie um!)

Anscheinend muss wohl jeder Text seine eigene Mechanik finden (und die Schmiermittel für das gerade noch zulässige Geklapper dessen, was ihn außer seiner poetischen Absichten auch noch bewegt).

So weit war ich, als ich wieder auf eine Herausforderung, ein Unverstandenes bei mir selber stieß … dass es mich entzückte! Anscheinend (ge-)leitet ein Text am besten und vor allem erst mal durch Eigensinn – auch seinen Autor. Dann muss sich zeigen, wer wen besser unterwirft. Oder besser nicht.

Denn: Ist das Wahrsprechen des Unbewussten am Ende womöglich auch nur Effekt, als eben dessen Gelingen? Sein oft ja nur ungefähres, über die eigenen Mechanismen nicht aufgeklärtes? Ähnlich wie die immer noch gern nachgefragte Authentizität, wie Wahrheit alles Effekte sind?

Das Problem in einem Satz: Fühlt es sich (nicht) richtig für Dich an, wenn es sich (nicht) richtig für mich anfühlt?

Manchmal die Bangigkeit in dem Gedanken, es bliebe am Ende als Ausweg vielleicht doch nur Musik …

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Alles muss raus:

Ich gebe zu, ich weiß nichts von Stephen King, ich habe nie etwas von ihm gelesen und werde es, obwohl es mir gerade als ignorant bewusst wird, wohl trotzdem nicht tun. Aber gerade bei der heute zunehmend fraglosen Dominanz von Genre ist möglicherweise schon die Berührung damit ein petit mort. Aber es reicht ja vielleicht auch, wenn in Twitter-Zeiten (statt früher der Warhol’schen 15 Minuten) nur jeder einen einzigen Satz sagt. Stephen King, der also mit seinem Ruhm wenig anzufangen weiß, was ihn immerhin sympathisch macht, sagt:
Schriftsteller sollten nicht berühmt, sondern Geheimagenten sein. Ich sollte die Menschen beobachten – nicht umgekehrt.“

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Kultur-Anthropologie aus dem Goldenen Blatt:
Die Frage nach dem Wunder des Königtums ist fast so tiefsinnig und unausdeutbar wie die Frage nach Gott.“

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Und noch ein Kleinod von @NeinQuarterly:
If there’s one thing nihilists are thankful for, it’s nothing.

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Zum „Bedürfnis nach mythischer Geographie“ (Peter Handke)

„Ebenen waren sie, blau, milchig, künftiges Torfland, inmitten der tausend gefälligen Erhebungen einer heiteren Landschaftsbeschreibung, die der Weg der Grazien gekreuzt. Land im Gewand des August, gesprenkelt mit Namen und Orten. Land war es, von Leuten und Volk im Gewand der Arbeit.‘
(Carlo Emilio Gadda, Die Erkenntnis des Schmerzes)

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Ich kann es nicht beweisen (obwohl ich Zeugen nennen könnte), aber ich habe schon früh gewusst, dass Steve Jobs ein viel größerer Unsympath ist als Bill Gates.

Natürlich nicht vor seiner massengehaltenen und sich trotzdem herausgehoben dünkenden Konsumentenschar. „In einer von Markensymbolen angetriebenen Gesellschaft wäre es seltsam, wenn es keinen kommerziellen Messias gäbe.“ (Douglas Atkins) Leider war ich auch schon früh Rundum-Atheist.

Jetzt also biometrisches Einkaufen. Und klar, diesmal keine Hintertüren, es wird niemals etwas gespeichert oder an wen weitergegeben werden …

Aber braucht es jetzt wirklich einen solchen Zugang zu den eh schon genug geschlossenen Konsumenten-Welten? Es mag an meiner kritisch-paranoischen Verkopftheit liegen, aber mir fällt da neuerdings immer öfter Giorgio Agamben ein, laut dem das Lager „das biopolitische Paradigma des Abendlandes“ sei. Und Vorwärts-Affirmation (=Verteidigung) ist eben auch Krieg (sage ich).

Ich habe weiterhin kein iTunes-Konto und werde mein Lebtag kein Gerät von denen kaufen, aber es ärgert mich trotzdem. Auch wenn es wohl schon zu spät, und die geistige Einhegung durch die Amazon-Empfehlung und die Autokorrektur schon viel weiter ist, als es uns aufgeht. Die wissen schlicht vorher, was wir lesen wollen, ist alles zu algorithmisieren. Und die wissen auch besser, was wir meinen. Sonst meinen wir eben besser, was die uns vorschlagen: mehr vom Selben! Sagen alle meine Freunde schließlich auch!

Komisch, dass auch meine Idee von Freundschaft immer noch eine ganz andere ist. Hat aber wohl auch mit dem (Lebens-)Alter zu tun.

Dabei hatte ich früh auch so ein weißes Kästchen (das billigste von allen) zum Ausprobieren gehabt, und es hatte auch zwei, drei Situationen gegeben, das Ding mit sich zu führen und Text abzurufen. Auch wenn es eher ein Überfliegen denn ein Lesen war: Ich glaube immer, ich könnte ganz gut lesen am Schirm, weil ich mich dran gewöhnt habe, aber es ist doch etwas anderes. Überfliegen ist schon das bessere Wort. Geistiges Überfliegen, dass sich gern informiert dünkt. Ich durchdenke das wohl besser noch mal.

Nicht, dass ich annehme, dass es für irgendein anonymes Marketing von Interesse oder gar Vorteil ist zu wissen, wenn einer wie ich 20 mal hintereinander den selben Hölderlin-Text aufruft – und er war auch noch kopiert von einem Netz-Ort namens Gutenberg!

Ich bin nicht so paranoid, dass ich mich für ein Aufklärungsziel halte. (Aber ist heute nicht alles ein Aufklärungsziel?) Es passt mir trotzdem nicht, denen das zu wissen zu geben. Es passt mir einfach nicht, wenn bei jedem Anstöpseln zur Akku-Aufladung meine Lese-Daten übertragen werden, ohne dass ich jemals wieder etwas davon höre. Es geht überhaupt niemanden was an.

Jetzt also biometrisches Lesen. Unser gleißend gemachtes Konsumenten-Lager: Auf allen bunten Oberflächen eine Hintertür zur Macht. Die wissen schon besser, was wir uns wünschen. Und mit den Jahren dne Konsens-Ideen der Vielen gefährlicher geworden bin ich auch.

Wenn also die Datensammel-Bots der neuen Art Verlage auf dem Reader jeden Lesevorgang mitprotokollieren, wird dann die alte Form zu lesen zu so etwas wie Widerstand? Eine nicht mal mehr romantische Idee.

Auf der Netzseite, auf der ich mich manchmal über das Geschehen auf dem sich ja auch täglich neu dünkenden Ebook-Markt informiere, wird die gute alte, die „alte“ Autorenschaft, der ich mir einbildete anzugehören (obwohl ich auch dazu Distanzen pflege), diejenige also, die etwas länger nachdenkt – als am Markt vorbei-produzierende gesehen – als quersubventionierte. Schäm dich, erfolgloser Autor!

Aber ist das noch neo-liberal, oder ist das schon eine Steigerungsform davon? Und hat er nicht Recht! Weg mit den Minderheiten-Literaturen! Werden ja auch demnächst unsere postdemokratischen Freihändler von drüben für sorgen! Gute alte Buchpreisbindung, guter alter Rheinischer Kapitalismus, bei dem für jeden etwas abfällt. Weg mit allem, was sich nicht selber trägt! 

Nur – können jetzt wirklich alle Genre-Lesefutter schreiben? Die Erfolgsmeldungen über die selfpublishing-Hits sind so einfältig wie verräterisch. Sie sind selber das Marketing: Publizier Dich, Du! Versuch Du es auch! Jeder Mensch ist ein Autor! (Und die hielten Adornos Blick auf die Kulturindustrie für passé! Bloß weil deren Apologeten jetzt als Micky-Maus Figuren rumlaufen!)

Und natürlich ist auch Literatur-Literatur ein Markt – sagt ja sogar schon der Betrieb mit seinen verschnarchten Buchpreisen dauernd! Er ist (und war immer schon) eben nur kleiner. Und älter. Wie im Durchschnitt die Teilnehmer, die da agieren. Ach ja, Alter, weißt Du: Die Jelinek, Jahrgang 46, war unter den ersten namhaften aktiven Schreibern im Netz, und sie ist in ihren Publikationsformen auch schon viel weiter: Das, was jetzt erst mal ausprobiert werden soll, hat sie schon längst gemacht!

Wird ihr aber trotzdem zum Nachteil ausgelegt.

Aber stimmt, Buchkitsch (Porombka) ist nun wirklich passé. Also Cyber- & Gadget-Kitsch soll es jetzt sein.

Und das Ende des Autors (Barthes, 1968), das Ende der Schrift  ist auch schon etwas älter (Flusser 1987), wie der Widerwille der Kultur-Legastheniker gegen das Schreiben überhaupt (Platon). Wir schreiben nicht mehr, wir tippen. Und seit jeder tippt, ist auch jeder ein Autor, logisch! Er braucht nicht mal einen Blog, er muss nur irgendwo angemeldet sein und seine Scores oder Avatare oder sonstwas an Micky Maus-Daten verwalten für die zu lesende Spur (Derrida).

Der erste, der mir auf der letzten Leipziger Buchmesse einen Prospekt in die Hand drücken versuchte, war einer dieser Selfpublishing-Dienstleister. Ich hatte da schon ein Ebook draußen, und ich hatte auch schon, auf der Messe!, die mir einzig konsequent erscheinende Idee, ab jetzt alle meine Texte zu verschenken. Verschenk-Texte – war das nicht mal bei irgendwelchen Öko-Tussis in meiner Jugend ein Hit? Nicht erst seit Neuerem ist Schreiben vielleicht eh business to business, auch wenn man kaum was dran verdient. Unter Dichtern ja sowieso.

Aber auch „die freien Texte“ hat die Content-Mafia sich schon unter den Nagel gerissen. So schustert sich jeder zusammen. Und so hat eben auch Kittler doch Recht, und wir rücken weiter vor in den protected mode. Die technischen Konditionierungen greifen immer besser, auch die, die Schrift noch als eingeführten Bedeutungsträger oder Narrationsgeber braucht. (Sogar Filme und Videospiele berufen sich auf ein Skript! Wieso eigentlich?)

Was bleibt? Bücher „für die vielen Deutschen zwischen 30 und 60, die auch im Erwachsenenalter das Jugendbuch bevorzugen“. (Sebastian Hammelehle auf SPON)

Wie der Erfolg von Apple vielleicht ein Menetekel ist, war es für den Buchhandel Harry Potter. Biologistisch gesagt: Das Aufkommen und die Ausbreitung der einen Großpopulation ist oft ein Fiasko für die kleineren. Aber dass man bei allem gesagt bekommt, wie bedroht die Arten sämtlich schon sind, daran haben wir uns ja auch schon gewöhnt.

Jetzt schreiben eben alle Feen- und Vampir-Romane und „Stadtteil-Krimis“ und Mittelalter-Sagas in 13 Bänden – auf den Readern merkt man nicht mal, was für Schinken das sind. Werden wir eben zu „Lesefutter-Knechten“ (Peter Handke). Diese kleinen BlackBoxes mit den Backdoors aus den chinesischen Billiglohn-Lagern als Signet für ein Leben ohne Entkommen sehen trotzdem schick aus. Es gibt sie jetzt auch wieder in neuen Farben!

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(Weil gleich die Frage kam zum Titel: Das ist eine Anspielung auf Wolfgang Hilbigs Buch ICH, darin Lesen und Schreiben mit Fragen der Identität unter totalitären Bedingungen verknüpft werden.)

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(„Wähle die Ambivalenz als Voraussetzung der Arbeit.“)

„Die riesenhafte Korruption, die Versessenheit aufs Geld, bei der die Absicht, inhaltlich und künstlerisch wertvolle Dinge zu schaffen, völlig absurd wird. Indem man es doch versucht, wird einem klar, in welch zwiespältiger Situation man sich befindet. Man arbeitet im verfaultesten Kernpunkt einer verseuchten Gesellschaft, solange man hier lebt kann man ja auch garnichts erreichen, ohne sich dieser Gesellschaft zu bedienen. Man muss mit ihr zusammen arbeiten und einen Weg finden, ihre Vorteile auszunützen.“

(Peter Weiss am 19.August 1960 in Das Kopenhagener Journal)

 

Wie hoffnungslos altmodisch eine solche Haltung einem heute vorkommt, und zugleich doch wie zeitlos. Ohne Skrupel – oder eben Skrupellosigkeit – kann es eigentlich, außer in lichtesten Inspirationen, auch zu keiner weiterführenden Kunst mehr kommen.

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