aber im ganzen Treppenhaus mal wieder kein Licht


Vor dem Kellerloch der Gespinstschimmer

einer weggeschippten Fuhre Eierkohlen noch von heut Morgen

die wegzukehren die müde Frau Wiegand wie immer vergisst


Ein paar schwanke Schatten auf der Hauswand

gehen wir in kleiner Kolonne und verhunzen tapfer

noch die simpelsten Liederzeilen


Laterne Laterne


und Dieter der seine noch im Torweg abfackelt

und das an der ersten Tür gesammelte Süßzeug

gleich selber frisst


Die Nacht wird schwarz wie der Busch der Schornsteinfegerwitwe

verspricht uns Herr Schmitz, dass ich lerne

wie die Schamesröte heiß wie unsere

auf den Straßenbahnschienen

geplätteten Pfennige ist


So reicht auch das Geringste bisweilen für ein Befunkeln der Welt

Ein Mond aus Transparentpapier

ein bisschen verkokelter Blattzinn und der strahlende Rest

von vor Zeiten verglühten Laubsägesternen –

aus dem Gefüge im Weltdunkel

das Zwinkern eines Fahrradrücklichts

mehr braucht es nicht


Und dann stolpere ich

auch noch gegen Monas Mutter treffen mich

ihr Mantelschwung eine Duftschwinge

und ihr freudeerhitztes Gesicht –

und wie alles teilen?



Die Mutter sagt:

Wenn du das Leben nicht aushältst,

räume den Schrank auf. Dann gehen die Sorgen

durch deine Hände, und der Kopf macht sie frei.

(Herta Müller, Herztier)

.

.

.

Wir waren Menschen,

und wir entdeckten, dass Menschsein bedeutete,

auf den gleichen Namen zu hören

wie unsere Henker.

(Paul Gadenne)

.

.

.

Die blumengleichen Tage

das einem übergehende Herz

überall die Fahnen Blau-Gelb

und im Flora-Park blühen wieder die Weiden

.

Ach, sagte sie, Ihr Deppenapostrophen dauernd

über Gott Liebe und rasende Gefühlsübertragung –

und redet Euch doch wieder auf Euer Schattenspiel heraus

Poesie, was ist ihr Sinn? Schlimmer noch,  

wenn es dann wirklich einmal drauf ankommt:

Im Leben kann es bei Worten nicht bleiben

.

Ich konnte sie den Kopf wiegen sehen und

im Abwenden noch leise sagen hören: So, sagte sie, so,

und murmelte im Weggehen noch ein paar Schweinereien

vor sich hin

Männer müssen, was Krieg und Schönheit angeht,

ja immer übertreiben

.

So gingen wir unter einem leeren Himmel hin

Aber Wir sind keine Opfer. Wir sind Überlebende.

Dann leck mich doch am Arsch, Krieg,

dachte ich, Zitatende / grammar wanker

hockte mich wieder vor die Live-Berichterstattung

hilflos wie eine Liebe, die sich nicht zu äußern weiß

und kritzelte wie rasend neue Worte hin

.

Und strich auch die paar richtigen wieder aus

Nichts wollte ich sagen als

Die blumengleichen Tage sind nah

Und im Flora-Park blühen wieder die Weiden

.

.

.

.

Nur durch Masken sind wir

füreinander erträglich

.

und am Ende bin ich nur

die haltbarste Maske von all denen,

die von mir im Umlauf sind

(Die Maske als Utopie: Endlich Niemand sein)

.

Die Welt stirbt

an das Gesicht geklammert,

das man ihr abreißt.

(Danielle Sarréra)

.

.

Vor mir die junge, einzeln gehende Muslima in einem dieser schwarzen Gewänder zu einem Kopftuch, deren korrekte Bezeichnungen ich mir nie merken kann – es auch nicht wirklich will: Auch ich spüre manchmal, weniger gegen diese Sorte Kleidung an sich als gegen ihre Idee von Reglementierung, gegen ihre Anmaßung von Strenge, eine impulsive Abneigung.

Hier aber gibt sie einmal einem Gang und einer Haltung nicht nur etwas geradezu Elegantes, sondern hebt die Trägerin auch deutlich ab von den anderen mittäglichen Frauen auf der Bilker Allee in ihren öden, uniformen Jeans- & Stiefelkombinationen – und dann hat sie in dem leicht ungelenk wirkenden, leicht gezierten mädchenhaften Aufsetzen ihrer Füße auch noch etwas von U.

Als ich nach einem Wechseln der Straßenseite das zweite Mal hinter sie zu gehen komme und rasch aufhole, erkennen meine Augen weitere Vorzüge: Es setzt dieser blickdichte, aber locker fallende Stoff nicht nur ihre Schlankheit in Szene, sondern auch die aufblitzende Nacktheit ihrer Knöchel, sowie ihre Kurven da, wo es Kurven braucht – alles etwas anders als gelernt, aber durchaus reizvoll.

Bevor sie ganz enteilt, spreche ich sie an und frage sie, wie ihr Parfüm heißt, das mir schin im ersten Gewahren angenehm in der Nase wehte. Es ist light blue, und sie spricht auch D & G englisch aus, und das Kompliment, das ich ihr mache, hebt ihr noch ein wenig mehr das Kinn – obwohl mein Gefühl mir sagt, dass sie es eh erwartete.

Ihr Gesicht ist nicht wirklich schön, doch gewinnt es mit diesem Ding – es heißt, glaube ich, Hidschab – und bekommt Konturierung, durch das, was ihr weggenommen ist. Und wirkt damit auch ein wenig nackter.

Und außerdem zeigt es seine Aufhellung in meinem sie unverstellt würdigenden Blick, und auch sie begegnet meiner Freundlichkeit durchaus offen: Sie spürt hinter meinem Interesse sowohl die Formwahrung wie die ihr persönlich geltende Anerkennung, und es ist klar, auch sie will sich, vor allem sozial Gelernten, als Frau gewürdigt wissen.

Als sie längst in einer Nebenstraße verschwunden ist, wird mir klar, dass sie, seit dem ersten Einanderbemerken – abzulesen in dem flüchtigsten Seitenblick, in einer winzigen, dann überspielten Orientiertheit zu mir hin, in einer unwillkürlichen Angleichung der Schrittgeschwindigkeit -, meine latente Aufmerksamkeit für sich womöglich viel früher gespürt hat, und dass sie die ganze Sache intuitiv gleich irgendwie unter ihre Regie bekam. Ich bin nur der, der alles richtig befolgte, und das macht die Sache noch im Nachhinein vor allem wegen ihrer Dezenz zu einer gelungeneren (als es mit der habituellen Direktheit der sonst hier vorkommenden Frauen denkbar ist).

 

 

(Nachtrag III)

Monas Mutter, schließlich

Schließlich zeigte sie mir ihre
in einem Koffer überdauernden Yé-Yé-Platten,
die Alben für die Kaugummi-Sammelbilder plus
die gesammelten Aushangfotos zu den High-Life-
Schnulzen und Melodramen damals ab 18

Für mich stammte all das aus einem Alter wie
von jenseits und weiter weg, aber der Staub,
der sich auf sämtliche Dinge des Lebens legt,
sagte mir, auch ich würde ihn einst wieder atmen

Und ein paar Sachen hatte ja sogar ich noch
mitgekriegt. Ahoi-Brause, der erste Farbfilm,
San Remo und überhaupt die lärmige Fröhlichkeit
der Italo-Schlager, in winzigen Eisdielen Mädchen
in großgepunkteten Kleidern, das Leeregefühl
sonntags bis zum Run auf die Mitkämpferlogen
beim Stürmen des Rather Waldkinos

Liegts nur am Pfeil der Zeit wie Glück
für manche stets vergangen ist?
Und alle Jäger sagen, dass sie immer
nur zum Wohl der Tiere töten

Ich dachte unter den Alten manchmal an
die Art Namen, die man auf Grabsteinen liest,
und es kommt einem in den Kopf, was
eine Odelia oder eine Milla mal
für ein exquisites junges Ding gewesen sein mag

Na weißt du, sagte Monas Mutter zu mir,
man kann sich immer für sein Leben auch
belächeln lassen. Oder schließlich mit ihm
traurig sein auf eine Art, die es einem
ein bisschen leichter macht