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Archiv für den Monat Mai 2013

    Alles muss raus!

 

Millionen von Kunden, die hinters Licht geführt werden, zahlen trotzdem mehr für Strom!

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„Das heutige Genie ist durch nichts von einem heutigen Dummkopf unterschieden, dieses ist der Gewaltakt.“ (Wolfgang Hilbig, Herbsthälfte, 1973)

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Frage: Wenn die Hirnforschung so wenig zu bieten hat – gibt es denn gesichertes philosophisches Wissen?
Ernst Tugendhat: Nein. Man braucht es aber auch nicht. Der Wunsch, auf gesichertem Boden zu stehen, ist das Überbleibsel eines autoritären Bewusstseins. Es ist ein Relikt jener Zeiten, als man glaubte, von den Göttern alles Wesentliche durch Offenbarung zu erhalten.

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if one thing matters – every thing matters. Punk-Poetics.

(Als PDF lesen? Allerdings ohne Internet-Links.)

 

Diesen Zettel mit dem if one thing matters Satz (zugleich der Titel eines Buchs von Wolfgang Tillmans) kann man im Hindurchstreifen in einem – ich weiß nicht mehr welchem – der Räume der Düsseldorfer Ausstellung finden. Und eigentlich scheint er auch schon alles zu erklären. Denn fast reicht es, einmal quer über die Google-Bildersuchseite zu huschen – sieht aus, als wäre alles schon da.

Ist es natürlich nicht. Dass dieses Durcheinander auf den ersten Blick auf den zweiten ein durchdachtes ist, erschließt sich eben erst nach und nach. Tillmans nennt das eine „All-over-Installation“. Einen roten Faden gibt es nicht, und ich finde das, in einem Museum erst mal Unbestimmtheit zu erzeugen, im Zeitalter des Durchgearbeitetseins und der Diskursivierung von Kunst, der Versuche Gewissheiten zu erzeugen in der womöglich einzig übrig bleibenden Gewissheit, dass es sie womöglich nicht mehr geben kann, sehr angenehm. Big Data. Zurück zur Mustererkennung, zum Nicht-Hierarchischen, zum frappierenden Detail. Gegen all das Branding und Benchmarking von Kunst. Die unterlaufene Versuchung zur Übersicht öffnet die Gesamtmöglichkeit der Bilder hin zu ihrer Gleichrangigkeit. Und tatsächlich kann man sich von jedem Punkt aus auch wieder neu orientieren.

Das Durcheinander ist auch eines der Formate: Es gibt Postkartengrößen, viel DIN A4, dann wieder größere … es gibt die C-Prints bis zu meterlangen Plotterdrucken. Mir, der in den letzten Jahren vielleicht etwas zu sehr von den Riesenformaten der so genannten Becher-Schule geprägt wurde, war das spontan sympathisch. Nix gegen Gursky oder ein Bedürfnis nach Reauratisierung. Aber in der Dauerüberwältigung durch das Monumentale geht der Bereitschaft zum Erhabenen irgendwann die Puste aus.

Was mir von daher noch umso mehr gefiel, sind die Experimente mit Fotokopien und den immer graphischer werdenden Ergebnissen der x-ten Generation einer Kopie von einer Kopie – so was hatte ich in den 80ern an langweiligen Tagen im Büro selber gemacht und bin dadurch bald bei Mail-art und einem eigenen Xerox-Magazin gelandet. Obwohl von heute aus gesehen arg zeitverhaftet, ist mir die Geste, das als privaten Anlass mit auszustellen doch gleich sympathisch. Deshalb erlaube ich mir hier einmal eine fremde Stimme einzubinden, um diesen Kontext zu umreißen.

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Auch auf eine versuchte Sortierung der Motive Tillmanns lasse ich mich also gar nicht erst ein. Es gibt also Muster. Aber vorrangiger scheint mir doch diese prinzipielle Offenheit der Verknüpfung (Tom Holert im Katalogtext, „Das Unvorhergesehene“). Die Fotografie sei ja an sich Welterkennungsinstrument (WT). Ich war dann auch nicht überrascht bei Tillmans, der ja als poetisch gilt, die Stillleben und Nature Morte Bilder besonders schön zu finden. Das soll reichen anzudeuten, dass Tillmans mit dem ihm dauernd angehängten Label „Chronist der 90er“ nicht abzutun ist. Die schiere Vielfalt reicht aus, einen immer wieder im Kleinen zu bewegen.

Sowohl jemand mit Kunstwissen als auch lediglich Alltag- und Fernsehnachrichten-Hintergrund kann unzählige, oft ganz beiläufige Verweise und Querverbindungen finden (obwohl die, etwa in den arrangierten Tischvitrinen, oft mit privaten Papieren gelegt sind).

Ansonsten hatte ich Tillmans zwar schon als Reisenden und auch zwischen den Stilen Beweglichen im Kopf, doch stellt sich heraus, dass er längst ähnlich wie die früheren Hofmaler seine Factory unterhält. Er denkt also letztlich doch groß … alle Themen, die ganze Welt. Und darin wieder Grenzwerte, Bruchstellen, Wendepunkte und Erkenntnisblitze (Tom Holert).

Zu den Motiven noch ein paar Stichworte: Die Freischwimmer-Serien („Studien über Licht“), die Astronomie-Bilder („Venus transit“), all das, was in der Dunkelkammer entsteht bzw. wenn das Foto sich auf Papier materialisiert (gestische Handlungen und chemische Prozesse). Hier wird es dann ebenfalls wieder großformatig.

Es gibt einen eigenen Raum mit stark vergrößerten und teil-collagierten Zeitungsfotos junger Soldaten. Es wird einem darin klar, wieviel Krieg eigentlich permanent in der Welt ist und wie sehr wir davon verschont sind und doch mit Missionen getauften Mitspiel-Ambitionen darin verstrickt.

Allein dass es 2013 so etwas wie Syrien geben kann und ganze männliche Bevölkerungen einander umbringen verroht die gesamte Welt und wirft die hochmögenden Entwicklungen auf die immerselben Archaismen zurück. Mir fiel ein, was Sloterdijk mal zur Metaphysik des Action-Films (1994, damals à la „Terminator“) geschrieben hatte: Dass wir längst alle Mitwisser und Konsumenten einer ununterbrochenen Gewaltagitation sind. Und wie es auch hier eigentlich keine richtige Übersicht mehr gibt, trotz der vermeintlich eindeutigen Ländernamen und Jahreszahlen. Auch die werden zu kleinen Punktwolken in Big Data.

„Fragmente einer Ikonographie des auf Distanz gehaltenen Krieges“ könnte man Tillmans‘ Bild-Essay nennen, denn man kann zu verstehen anfangen, dass man nur umständehalber zu den Verschonten gehört. Und wie sehr die ermüdenden Folgen von Nachrichtenbildern pausenlos eine „Information“ nachliefern, die irgendein Verstehen eher betäubt.

Auf Tillmans eigenen unter die „offiziellen“ gestreuten Fotos sieht man immer wieder die lässigen Gesten oder – etwa bei einer Zigarettenpause – die ausrasierten Nacken junger Soldaten, ihre Kleinheit und ihren verheimlichten Stolz, Rädchen im Getriebe eines unendlich größeren Apparats zu sein. Die Nation, die bessere Idee der Welt, das gerechtere System … verkörpert in der gigantischen, gut gewarteten Turbine (zum Beispiel) eines Transportflugzeugs. Wenn man schon nicht mehr Teil einer Jugendbewegung sein kann, kann man immer noch Soldat werden.

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Das bringt mich zu meinem letzten Punkt, zu Tillmans Interesse an der Verwundbarkeit des Körpers und den (von anderen gern hervorgehobenen) queeren Aspekt der Ausstellung.

Offen gestanden interessiere ich mich nicht mehr sehr für das Zweitere. Ich verstehe so etwas wie Heteronormativität seinerseits als Zuweisung und wüsste nicht, wie ich das, eine Verlagerung der Beschwernisse auf den bisher Unbeschwerten, produktiv zu machen hätte. Es ist einfach nicht mein Problem. (Mich nerven der Sonntags-Lärm und die erpresserische Fröhlichkeit eines CSD-Day neuerdings in jedem Kaff, da die braven Offiziellen ihre braven Minderheiten grüßen. Wenn ich da wirkliche Herausforderungen will lese ich gleich bei Judith Butler.)

Aber Fotos eröffnen mir da auch keinen Zugang. Leider? Ich habe aber gespürt, wie interessant auch einmal für so jemanden wie mich, der an – sie ja auch immer gleich glAMOURisierende – Bilder von Frauen gewöhnt ist, deren weitgehende Abwesenheit sein kann. (Eine Kate Moss macht das nicht wett.)

Und noch etwas fiel mir auf, und die Tatsache, dass ich das im Kopf behalten hatte. Tillmans sagte sie einmal in einem Interview: dass es unglaublich weltverändernd wäre, wenn Männer sich ihrem Körper und ihrer Verwundbarkeit mehr öffnen würden.

Vielleicht nicht das schlechteste Fazit, wenn es schon keines braucht.

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Beim Sortieren des über die Jahre so angefallenen Materials (Fundgedichte, Fotos, Objekte) für eine kleine Online-Publikation Die poetische Stadt, die ich gerade zusammenstelle – ich werde sie irgendwann mal hier einstellen -, stoße ich gleich wieder auf mein Lieblingsgedicht.

Frankfurt

Frankfurt
beim Walter
als er den Unfall
gehabt hat und
er war da lange
im Krankenhaus
gelegen, da war
ich lange in Frankfurt.

Fundgedichte Frankfurt

Diese Zeilen wurden von einer alten Frau verfasst, deren Fotonachlass ich einmal kaufte, und es erinnert mich jedes Mal wieder an die Qualitäten etwa eines Ernst Herbecks oder an die sich manchmal beim [automatischen] Übersetzen ergebende Google-Poetry. Qualitäten jedenfalls, die (in der Konvention ja auch des Zusammenhangs des Genialischen mit dem Verrückten so mancher unserer Überdichter, etwa Hölderlin) genuin zur sprachlichen Moderne von Écriture automatique oder Gertrude Stein zu gehören scheinen und nicht so eine Weiteres hergestellt werden können (oder eben nur mit Inspiration und viel Arbeit): Wie bei jedem sein Gelingen nur streifendes Gedicht merkt man jede falsche Stelle sofort.

(Die ganzen Links auf Namen und Begriffe übrigens, weil ich gesprächsweise immer wieder merke, dass ich – zumal mit Jüngeren – über kaum noch einen gemeinsamen Hintergrund mit ihnen verfüge: Die wissen oft von meinen Sachen nix. Die wissen dafür vielleicht was anderes, aber ich, ich werde damit zunehmend alleine alt!)

Diese Frau jedenfalls muss – möglicherweise schon dement – die Angewohnheit angenommen haben, immer wieder ihre Schuhkartons mit Fotos durchzusehen, und, damit sie es nicht vergesse, sich ihr Leben zu erzählen, indem sie immer wieder den Namen, den Verwandtschaftsgrad des Abgebildeten, den Ort, an dem das Foto gemacht wurde auf dessen Rückseite schrieb.

Es gibt Bilder, auf denen sie in ihrer Küchenschürze im Garten steht und man sieht am Rand des Grundstücks das Schild mit dem Straßennamen. Da denke ich gleich, jemand müsse sie mit Bedacht so fotographiert haben. Trotzdem steht auf der Rückseite dann oft dieser Straßennamen noch einmal: Marburger Straße. Oft steht dort aber auch nur mehrere Male: Dieses Foto habe ich gemacht. Das Foto habe ich gemacht. In verschiedenen Kugelschreiberfarben. Und manchmal noch: Es war immer schön. Und eben in der Schlichtheit des Vergewisserungsverlangens liegt auf einmal das Drama, spürt man etwas von Alter und Lebensrückzug. Etwas vom nachlassenden Licht. Von Krapps letztem Band.

Meistens, wenn ich das Besondere einer solchen Foto-Sammlung erfasst habe, sein punctum, trenne ich mich auch wieder davon. Man könnte mit einigem Recht sagen, ich plünderte die Erinnerung der anderen aus.

Man könnte es aber auch so sehen, dass ich im Abfall der anderen, den niemand mehr will – Nachlass wäre ein schönes Wort, meist landen diese Sache aber tatsächlich auf dem Müll -, die wenigen Perlen zu finden und sie zu bewahren suche. Ich bin da selber noch nicht entschieden. Man könnte sagen, mit den Jahren der Beschäftigung mit alten Fotos, mit all diesem „alten Licht“ (Tucholsky), bekommt das immer öfter seine eigene Vergangenheitsschwere, die sich mir manchmal auch auf die Seele legt.

Schlägt sie sich nicht irgendwo medial nieder, taugt die Erinnerung außer für einen selber eigentlich für nichts. Kommen mir sonst diese ganzen Ideen von Existenz-Upload für ein zumindest zerebral verlängertes Leben auch ziemlich albern vor, finde ich doch hin und wieder den Gedanken anziehend, ich könnte einmal mein kleines Lebensfassungsvermögen in die Wolke stellen und dort ab und zu von flüchtigen Geistern gefunden und begrüßt werden. Aber ewiges Seelenleben erlangt man auf solche Weise wohl nicht.

Immerhin kam ich durch diese Frau auch auf die Idee für ein Album ausschließlich mit den Rückseiten der Bilder. Ich habe ja, vielleicht, noch ein paar Jahrzehnte Zeit, aber, kann sein, ich weiß mir manchmal eben auch schon nicht mehr besser zu helfen.

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(Aus „Altes Licht“ – eine Sammlung älterer Blog-Texte zum Thema)
[Die man irgendwann mal tatsächlich mal hier zum runterladen finden wird…]
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